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Peter Oliver Vetter, geboren 1970 in Basel, erlebte seine ersten
Jahre im Toggenburg und strandete danach in Bern. Hier
studierte er Pädagogische Psychologie, spielte als
Bassist in diversen Bands und ist Redaktor der Lokalzeitung
«Länggass-Blatt». Weiter unterstützte er
das Cabarett-Duo «Die Schwarzfahrer» als Texter
und Techniker. Seinen ersten Roman «Anton und Eva»
hat er während seiner Studienjahre geschrieben.
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«Es gibt Frauen, in die sollte man
sich nicht verlieben. Gib ihnen dein Herz und sie spielen
damit Basketball, wirf dich ihnen zu Füssen und sie
treten auf dir herum, leg sie in Ketten und sie lachen dich
aus.»
«Manchmal hab ich das Gefühl, du liest
zuviel.» Ich nahm einen Schluck.
«Vielleicht hab ich etwas dick aufgetragen, aber wenn
es diesen Typ Frau gibt, dann ist Eva ihre
Anführerin!»
* * *
Ich weiss nicht genau, wie es soweit
kommen konnte, ich weiss nur noch, dass ich irgendwann in
dieser Nacht in Evas Garten stand mit der Gitarre um den
Hals. Max versteckte sich im Gebüsch. Ich schaute in
den Himmel, der Mond wollte sich nicht zeigen,
wahrscheinlich hatte auch er ein ungutes Gefühl. Im
Haus war es dunkel. Das Fenster in Evas Zimmer war
geöffnet.
«Leg los!» zischte Max von hinten. Ich hielt die
Hand zum ersten Anschlag bereit, das Plektrum zwischen die
Finger gepresst, doch die Ruhe in diesem Garten war
stärker. Ich drehte mich um: «Ich kann
nicht.»
Max kam aus seinem Versteck heraus: «Warum
nicht?»
«Ich weiss nicht... Es ist mir peinlich.»
«Denk daran: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's
künftig ungeniert.» Er zwinkerte mir zu und ich
hätte ihn am liebsten dabei weggezaubert. Er sah mich
an: «Soll ich gehen?»
«Vielleicht.»
Er klopfte mir auf die Schulter: «Wir treffen uns
nachher im U28. Du wirst es schon schaffen.» Ich nickte
und er ging. Jetzt war ich allein und trug damit auch die
ganze Verantwortung auf meinen Schultern. Sollte ich
tatsächlich hier in diesem Garten für Eva ein
Ständchen spielen? War das der richtige Weg, um von ihr
erhört zu werden?
Ich setzte mich mit der Gitarre um den Hals auf die Bank
neben den Rosenbeeten. Wenn ich es jetzt nicht schaffe,
etwas zu tun, schlich es mir durch den Kopf, dann muss ich
sie vergessen. Ich betrachtete die sechs Saiten der Gitarre
und stimmte sie behutsam an. Sie war sauber gestimmt,
dennoch kam ich mir vor wie ein Heavy-Metal-Gitarrist, der
versehentlich in einer klassischen Oper auftrat. Die Ruhe
war erdrückend und lähmend zugleich. «Ach
Scheisse». Ich stand auf und wollte gehen.
Aus der Ferne erklang eine Stimme:
«War das schon alles?»
Ich drehte mich um und erkannte Evas Silhouette an ihrem
Fenster. Sie hatte sich mit den Armen auf den äusseren
Fenstersims aufgestützt. Sie war nackt. Ich
zögerte, starrte sie an, wollte gehen, wollte bleiben.
Dann legte ich los. Ich schrummte einfach drauf los, drei
Riffs. Meine Stimme war heiser, deshalb musste ich den Text
ziemlich brüllen:
«My Girl, my girl, don't lie
to me, tell me where did you sleep last night.»
Ich wiederholte die Strophe etwa
fünf Mal, bis mir auch der Rest des Textes wieder
einfiel. Ich fand, es töne gar nicht schlecht. Ich
fasste etwas Selbstvertrauen und liess den einen oder andern
Effekt einfliessen. Dass Eva nackt am Fenster stand,
überraschte mich nicht, schliesslich befand ich mich
auch in einem fremden Garten und wartete eigentlich darauf,
wegen nächtlicher Ruhestörung angezeigt zu werden.
Ich sang und versuchte dabei so gut es ging zu vergessen,
was ich eigentlich tat. Als ich mich dem Ende des Songs
zuneigte, entdeckte ich plötzlich, dass Evas Mutter, in
sicherem Abstand zu mir, im Garten stand, doch auch sie
schien mich nicht bremsen zu wollen. Dem Ende des Songs, vor
dem ich mich gefürchtet hatte, weil ich nicht wusste,
was danach passieren würde, schaute ich mit einem Mal
gelassener entgegen. Noch ein letztes Mal stimmte ich den
Refrain an, und den wollte ich noch einmal mit aller
Intensität Eva widmen, doch als ich mich wieder ihrem
Fenster zuwendete, musste ich mit Schrecken feststellen,
dass Eva gerade zu einer Wurfbewegung ausholte. Sekunden
später knallte ein kleiner Blumentopf mit einem Kaktus
neben mir auf den Boden. So langsam begriff ich, wozu sie
ihre kleinen stacheligen Freunde sammelte. Sie schloss das
Fenster und verschwand. Ich besorgte dem Song ein trauriges
Ende. Niedergeschlagen streifte ich die Gitarre ab, ich
hätte es zum Vornherein wissen müssen. Wieso
hörte ich bloss im falschen Moment auf die falschen
Leute?
Evas Mutter kam auf mich zu. Sie trug einen dunklen
Drachen-Kimono und war barfuss.
«Mein Herz hättest du sofort erobert.» Sie
stand ganz nahe und ich konnte trotz der Dunkelheit ihre
Augen sehen. Ich konnte fühlen, dass sie unter ihrem
Kimono nackt war und beinahe wäre ich über sie
hergefallen, um meinem Schmerz das Genick zu brechen, um mit
einer Tat endgültig alles zu zerstören. Doch die
Kraft, die uns vor solchen Taten bewahrt, bändigte
meinen Trieb. Ich ging, ohne ein weiteres Wort zu
verlieren.
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last update 01|07|23
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